23.08.2023 - Berlin
Am 23. August 2023 wurde im Bundesgesetzblatt die Änderung von § 3 Abs. 7 Satz 2 der Vergabeverordnung (VgV) veröffentlicht. Die geänderte VgV mit der Streichung des § 3 Abs. 7 Satz 2, tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt müssen grundsätzlich alle ausgeschriebenen Planungsleistungen bei öffentlichen Vergabeverfahren addiert werden. Dies hat zur Folge, dass der Schwellenwert für die europaweite Ausschreibung von Planungsleistungen (215.000 Euro) deutlich früher als bisher überschritten wird. Bundeswirtschafts- und Bundesbauministerium haben dazu klarstellende Erläuterungen veröffentlicht.
Mit der geänderten VgV werden jetzt auch bei kleinen Bauvorhaben europaweite Ausschreibungen notwendig. Dies bedeutet einen zeit- und kostenintensiven Mehraufwand nicht nur für die sich an einer Ausschreibung beteiligenden Planerinnen und Planer, sondern auch für die öffentlichen Auftraggeber.
Wenn aufgrund dieser Entwicklungen zunehmend auf Generalplaner- oder Totalunternehmervergabe ausgewichenen wird, hätte dies erhebliche Auswirkungen für die klein- und mittelständisch geprägte Planungslandschaft in Deutschland.
Der Präsident der Bundesingenieurkammer, Dr.-Ing Heinrich Bökamp, befürchtet massive Auswirkungen auf die planenden Berufe und auf eine Vielzahl dringend benötigter Bauprojekte in Deutschland. „Gerade in diesen herausfordernden Zeiten sollten die kleinen und mittleren Büros geschützt und gefördert werden. Diese bilden bislang das Rückgrat der deutschen Planungslandschaft und werden vor dem Hintergrund von Bau- und Energiewende dringender denn je benötigt. Eine qualitativ hochwertige und flächendeckende Leistungserbringung kann jedoch nur unter fairen Rahmenbedingungen gewährleistet werden“, unterstreicht der Präsident der Bundesingenieurkammer.
"Durch die Streichung des §3 Abs. 7 Satz 2 VgV entsteht ein deutlicher bürokratischer Mehraufwand für die Büros, der in keinem Verhältnis zum Honorar steht und den die Planenden in ihren Angeboten berücksichtigen werden müssen. So wären in Zukunft bereits für Bauvorhaben ab ca. 1,2 Millionen Euro europaweite Ausschreibungen für jede einzelne Planungsleistung zwingend notwendig – und das mit Honoraren, die zum Teil unter 50.000 Euro liegen", sagt Dr.-Ing. Werner Weigl, Vorsitzender des Arbeitskreises Vergabe der Bundesingenieurkammer und 2. Vizepräsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau.
Der Änderung der Vergabeverordnung liegt ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission zugrunde. Diese sieht in der bisher gültigen deutschen Regelung einen Verstoß gegen die europäischen Vergaberichtlinien. Die Planerverbände hatten hingegen geltend gemacht, dass den zu erwartenden negativen Auswirkungen kein erkennbarer Vorteil im Sinne einer Stärkung des europäischen Binnenmarkts gegenüberstehe, und gefordert, dass sich der Europäische Gerichtshof mit dem Thema befassen sollte.
In einer Entschließung des Bundesrates wurde die Bundesregierung aufgefordert zu prüfen, wie im Rahmen der europarechtlichen Möglichkeiten auch weiterhin verschiedene Planungsleistungen für kleinere Bauprojekte ohne europaweite Ausschreibung vergeben werden können. Dazu sollten klarstellende Erläuterungen gegeben werden, die aufzeigen, wie die Auswirkungen der Aufhebung des § 3 Absatz 7 Satz 2 VgV auf die Praxis rechtssicher begrenzt werden können.
Unter Berücksichtigung, dass das zugrundeliegende Vertragsverletzungsverfahren noch nicht beendet ist, hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen dazu am 23. August 2023 folgende klarstellenden Erläuterungen für die Vergabe von Planungsleistungen nach Wegfall des § 3 Abs. 7 Satz 2 VGV veröffentlicht. Diese sollen Orientierung und Unterstützung bieten, können jedoch nicht eine Prüfung durch die jeweilige Vergabestelle, die Rechtsanwendung oder Rechtsberatung im Einzelfall oder die Rechtsauslegung durch die Vergabekammern und Oberlandesgerichte vorwegnehmen oder ersetzen.
Danach ist für die Auftragswertberechnung - unabhängig von einer etwaigen (späteren) Losbildung - zunächst zu bestimmen, inwieweit ein einheitlicher Auftrag vorliegt. Hierbei ist eine „funktionale Betrachtung“ heranzuziehen. Ein einheitlicher Gesamtauftrag liegt demnach vor, sofern dessen Teilleistungen in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht eine innere Kohärenz und eine funktionelle Kontinuität aufweisen.
Auf dieser Grundlage kann dann sowohl die getrennte als auch die gemeinsame Vergabe von Aufträgen für die Planung und die Ausführung von Bauleistungen vorgesehen werden. Die rechtliche Prüfung der Europarechtskonformität der Vergabe soll im Einzelfall jedoch der jeweiligen Vergabestelle und einer etwaigen Auslegung durch die Spruchpraxis der Vergabekammern und der Oberlandesgerichte vorbehalten bleiben.
Die Bundesingenieurkammer wird sich zur Anwendung der gegebenen BMWK-Erläuterungen in der Praxis auch mit den kommunalen Spitzenverbänden und dem Deutschen Städte- und Gemeindebund abstimmen, und darauf hinwirken, dass bei zukünftigen Vergaben die in den Erläuterungen ebenfalls hervorgehobenen mittelständischen Interessen berücksichtigt werden.
Download
Bundesgesetzblatt Nr. 222 vom 23.08.2023 (PDF)
Bundesgesetzblatt Nr. 222 vom 23.08.2023 (Online)
Klarstellende Erläuterungen zur Auftragswertberechnung vom 23.08.23 - BMWK
Die Verordnung zur Anpassung des Vergaberechts an die Einführung neuer elektronischer Standardformulare („eForms“) für EU-Bekanntmachungen und an weitere europarechtliche Anforderungen“ wurde am 23.8.2023 im Bundegesetzblatt verkündet (zur Verordnung). Nahezu alle öffentlichen Planungsaufgaben müssen künftig nach den Regeln des EU-Rechts vergeben werden, denn auch für diese gelten ab sofort dieselben Regeln zur Auftragswertberechnung wie für sonstige Dienstleistungen. Damit steht fest, dass bei öffentlichen Aufträgen für Planungsleistungen Lose über gleichartige Leistungen zusammengefasst werden müssen.
Die Vergabeverfahren werden sowohl für die Auftraggeber- wie für die Auftragnehmerseite deutlich aufwändiger und werden damit erheblich mehr Zeit in Anspruch nehmen. Die Kammern und Verbände der planenden Berufe kritisierten bereits im Juni die entsprechende Entscheidung des Bundesrats für dessen Zustimmung zur Änderung der Vergabeverordnung. Sie befürchten eine wirtschaftliche Gefährdung der mittelstandsgeprägten Planungswirtschaft in Deutschland.
Der Bundesrat hatte immerhin bei seiner Zustimmung – ebenso wie Planerorganisationen und kommunale Spitzenverbände – mit Blick auf die Ausführungen in der Begründung zur Verordnung eine klarstellende Erläuterung gefordert, die eine rechtssichere Auftragswertberechnung ermöglicht. In der Verordnungsbegründung wurde ein Ansatz beschrieben, wonach als Grundlage für die Auftragswertberechnung von Planungsleistungen das Bauvorhaben als Ganzes herangezogen werden kann. Unabhängig davon muss die Vergabe sowohl der Planungs- als auch der Bauleistungen wegen des Gebots der mittelstandsfreundlichen Vergabe in der Regel auch weiterhin in einzelnen Losen erfolgen. Bei Umsetzung dieses Ansatzes dürfte die Anzahl der EU-weiten Ausschreibungen bei weitem nicht so stark steigen.
Die Ausführungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) wurden am 23. August 2023 veröffentlicht (zur Ausführung). Das BMWK bezieht sich hierbei auf die EU-Kommission, die nach wie vor an ihrer restriktiven Haltung festhält. Da das Vertragsverletzungsverfahren mit Inkrafttreten der eForms-Verordnung auch noch nicht beendet ist, müssten sich die Erläuterungen auf Hinweise auf den geltenden Rechtsrahmen konzentrieren. Auch sei die Rechtsanwendung im Einzelfall den Vergabestellen und die Rechtsauslegung den Vergabekammern und Gerichten vorbehalten. Vor diesem Hintergrund werden die Erläuterungen voraussichtlich nicht in gewünschtem Maße zur Rechtssicherheit beitragen.
„Ob die Handreichung trotzdem die öffentlichen Auftraggeber veranlassen könnte, für die Auftragswertberechnung den höheren Schwellenwert für Bauvorhaben heranzuziehen, wird sich in den kommenden Monaten zeigen“, sagt Andrea Gebhard, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer. „Wir werden uns hierzu insbesondere mit den kommunalen Spitzenverbänden weiter austauschen. Denn sollten die Kommunen dies nicht tun, ist mit einer Verzehnfachung der EU-weiten Ausschreibungen zu rechnen. Dies würde nicht nur die meisten Kommunen überfordern, auch viele kleine und junge Planungsbüros werden wegen des viel höheren Bewerbungsaufwands von Ausschreibungsteilnahmen absehen zu Lasten von innovativen Ideen für mehr Nachhaltigkeit und Baukultur.“
Der Präsident der Bundesingenieurkammer, Dr.-Ing Heinrich Bökamp, befürchtet massive Auswirkungen auf die planenden Berufe und auf eine Vielzahl dringend benötigter Bauprojekte in Deutschland. „Gerade in diesen herausfordernden Zeiten sollten die kleinen und mittleren Büros geschützt und gefördert werden. Diese bilden bislang das Rückgrat der deutschen Planungslandschaft und werden vor dem Hintergrund von Bau- und Energiewende dringender denn je benötigt. Eine qualitativ hochwertige und flächendeckende Leistungserbringung kann jedoch nur unter fairen Rahmenbedingungen gewährleistet werden“, unterstreicht der Präsident der Bundesingenieurkammer.
Quellen: Bundesgesetzblatt, Bundesingenieurkammer, Bayerische Ingenieurekammer-Bau, Fotos: oxinoxi / AdobeStock, BIngK, Wernder Weigl
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