06.12.2023 - München
Auf dem Weg bis zum Zuschlag können oft viele Fallen und Hindernisse lauern. Jeder, der an Ausschreibungen öffentlicher Auftraggeber teilnimmt, weiß das nur zu gut. Maurice Iarusso vom Referat "Recht - Honorarfragen - Vergabe" der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, hat aktuelle Entscheidungen von Vergabekammern zu wesentlichen Praxisfragen des Vergaberechts zusammengetragen.
So können etwa unklare Angaben in der Auftragsbekanntmachung, abgelaufene Angebotsfristen oder streitbare Aktionen des Auftraggebers den Teilnehmer unverhofft schnell aus dem Rennen werfen. Umso wichtiger ist es daher, die Rechte und Pflichten von Auftraggebern und Bewerbern/Bietern in Vergabeverfahren genau zu kennen.
Dazu im Folgenden eine Auswahl von Entscheidungen von Vergabekammern über wesentliche Praxisfragen des Vergaberechts.
Ein häufiger Streitpunkt betrifft schon die Wahl der vermeintlich falschen Art des Vergabeverfahrens, vor allem wenn es um Direktvergaben geht. Diese sind jedenfalls dann zulässig, wenn aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden ist, da die zu beauftragende Leistung nur von einem bestimmten Bewerber erbracht werden kann.
Es kommt dabei maßgeblich darauf an, ob die Deckung des Beschaffungsbedarfs durch andere Bewerber objektiv unmöglich ist. Ein unterlegener Mitbewerber kann sich dann im Nachprüfungsverfahren nicht darauf berufen, dass er die zu beschaffene Leistung doch zu erbringen vermag, wenn er oder einer seiner Mitarbeiter im Rahmen der Markterkundung zunächst noch das Gegenteil behauptete (OLG Rostock, Beschluss v. 25.11.2020 – 17 Verg 1/20).
Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb sind ferner (ausnahmsweise) zulässig in akuten Gefahrensituationen und im Falle höherer Gewalt. Dazu kann zwar generell auch der Ausbruch der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 gezählt werden.
Allerdings kommt es dann maßgeblich darauf an, ob zum Zeitpunkt des Beschaffungsbedarfs die Pandemie als solche bzw. staatliches Handeln oder behördliche Entscheidungen als Reaktion darauf noch als unvorhergesehenes Ereignis angesehen werden kann (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 14.12.2022 – Verg 1/22).
Es besteht für den Auftraggeber jedoch keine Pflicht, ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vorzunehmen. Dies gilt auch dann, wenn der nicht berücksichtigte Bieter Urheberrechte an einem bestehenden Bauwerk, das Gegenstand einer Ausschreibung ist, geltend macht. (OLG München, Beschluss v. 28.09.2020 Verg. 3/20).
Nachprüfungsverfahren sind zur Klärung urheberrechtlicher Fragen nicht geeignet. Die Verletzung urheberechtlicher Vorschriften ist vor den ordentlichen Zivilgerichten zu rügen und ggf. festzustellen (VK Nordbayern, Beschluss v. 29.05.2020 – RMF-SG21-3194-5-4).
Bei der Ausarbeitung von Vergabeunterlagen haben Auftraggeber zu beachten, dass Vertragsklauseln, die Bestandteil des ausgeschriebenen Auftrags werden, gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot verstoßen können, wenn sie den Bietern eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation unzumutbar erschweren (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 22.12.2021, Verg 16/21).
Bei Vertragsklauseln, die (möglicherweise) gegen AGB-Recht verstoßen können, geht die VK Berlin davon aus, dass es stets im Ermessen des Bieters liegt zu entscheiden, ob er sich vom Auftraggeber vorgegebenen vertraglichen Regelungen unterwerfen möchte oder nicht. Der vermeintliche Verstoß gegen das AGB-Recht ist erst nach Vertragsschluss zivilrechtlich zu prüfen und zu bewerten (VK Berlin, Beschluss vom 31.03.2020 – VK B 1-08/20).
Bewerber im nichtoffenen Verfahren können auch dann ein Angebot abgeben, wenn sie sich zwischen Teilnahme- und Angebotsphase mit einem anderen erfolgreichen Bewerber verschmolzen haben (Fusion), solange die Anforderungen weiterhin erfüllt sind, keine Wettbewerbsbeeinträchtigung vorliegt und die Leistungsfähigkeit des Bieters gewahrt bleibt (EuGH, Urteil v. 11.07.2019 – Rs. C-697/17).
Die vom Auftraggeber ursprünglich gesetzte Angebotsfrist kann von ihm grundsätzlich in den Grenzen seines Ermessensspielraums verlängert werden, solange keine sachfremden oder willkürlichen Motive dahinterstehen, wie etwa einem präferierten Bieter noch die fristgerechte Abgabe seines Angebotes zu ermöglichen (VK Bund, Beschluss v. 15.10.2018, VK 1-89/18).
Nimmt der Auftraggeber wesentliche Veränderungen an den Vergabeunterlagen vor, sind nach § 20 Abs. 3 Nr. 2 VgV die Angebotsfristen zu verlängern. Dies gilt aber ggf. auch für die Fristen zur Abgabe der Teilnahmeanträge (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 28.03.2018 – Verg 40/17).
Die Angebotsfrist ist insbesondere dann zu verlängern, wenn erst kurz vor Ablauf (aber immer noch innerhalb) der Frist zurecht ein Defizit in der Ausschreibung aufweist und eine entsprechende Bieterfrage oder Rüge beim Auftraggeber eingeht. Dieser kann die Beantwortung und die Veröffentlichung der Anfrage nicht einfach mit dem Argument ablehnen, sie sei zu spät gestellt worden (VK Bund, Beschluss v. 27.01.2017 – VK 2-131/16). Wurde das Defizit vom Auftraggeber erkannt, ist der Fehler in jedem Stand des Vergabeverfahrens zu korrigieren.
Aber allein die notwendige Überarbeitung der Anforderungen in den Vergabeunterlagen bedeutet hingegen nicht, dass ihnen die notwendige Ausschreibungsreife fehle (VK Bund, Beschluss v. 19.02.2018 – VK 1-167/17). Beantwortet der Auftraggeber eine Bieteranfrage nicht eindeutig, kann der Bieter, der in seinem Angebot eine vertretbare Interpretation der Antwort berücksichtigt, nicht wegen Änderungen der Vergabeunterlagen ausgeschlossen werden (VK Südbayern, Beschluss v. 16.05.2022 – 3194.Z3-3_01-21-62).
Auch kann ein Angebot nicht wegen Änderung/Ergänzung der Vergabeunterlagen (§ 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV) ausgeschlossen werden, wenn es einen Lösungsvorschlag enthält, der von den Vorgaben des Auftraggebers abweicht, wenn vom Auftraggeber nicht eindeutig festgelegt wurde, ob Abweichungen in einem Angebot zum Ausschluss oder nur zu einer niedrigeren Bewertung führen (VK Südbayern, Beschluss v. 22.03.2021 – 3194.Z3-3_01-20-61).
Sind die Angebote schließlich abgegeben, ist es vergaberechtlich unerheblich, wenn die Vergabestelle sie schon vor dem in der Bekanntmachung genannten Termin geöffnet hat, sofern die Vergabestelle die Angebote zumindest nicht vor dem Schlusstermin zur Abgabe geöffnet hat (VK Nordbayern, Beschluss v. 09.01.2018 – RMF-SG21-3194-02-17).
Dabei dürfen sowohl die eigenen Mitarbeiter des Auftraggebers als seine Vertreter (§ 55 Abs. 2 VgV) als auch die eines beauftragten Ingenieurbüros (VK Lüneburg, Beschluss v. 08.05.2018 – VgK-10/2018) oder jede andere von ihm ermächtigte Person wie etwa ein externer Berater oder ein Rechtsanwalt (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 14.11.2018 – Verg 31/18) die Angebote öffnen.
Ein Vergaberechtsverstoß kann jedoch vorliegen, wenn die konkrete Möglichkeit besteht, dass einer der Vertreter mit einem der Bieter zusammengearbeitet haben könnte (VK Lüneburg aaO). Die VK Südbayern hält mittlerweile die Angebotsöffnung allein durch externe Dienstleister für zulässig, sofern es sich um ein elektronisch durchgeführtes Vergabeverfahren handelt, bei dem die Gefahr von Manipulationen verschwindend gering sei durch elektronische Protokollierung der Angebotsschritte (VK Südbayern, Beschluss v. 16.05.2022 - 3194.Z3-3_01-21-62).
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass die Vergabekammer den öffentlichen Auftraggeber aus Gründen des allgemeinen Vertragsrechts, namentlich der Vertragsfreiheit, nicht verpflichten kann, eine Beschaffung vorzunehmen und damit einen Auftrag an einen geeigneten Bieter zu erteilen. Sie kann daher auch keine Mittel der Zwangsvollstreckung gegen ihn anwenden (BayObLG, Beschluss v. 14.03.2023 – Verg 1/23).
Autor: Maurice Iarusso, juristischer Sachbearbeiter im Referat "Recht - Honorar - Vergabe" der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, Fotos: Privat; Robert
Kneschke / AdobeStock
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