26.02.2024 - Berlin
Nach der Streichung einer zentralen vergaberechtlichen Regelung bei Planungsleistungen am Bau (§ 3 Abs. 7 Satz 2 VgV) besteht weiterhin große Verunsicherung bei öffentlichen Auftraggebern, wie die Auftragswertberechnung rechtssicher vorgenommen werden kann. Die Berechnung des Auftragswerts entscheidet darüber, wann Planungs- und Bauleistungen für Bauvorhaben europaweit ausgeschrieben werden müssen. Dies betrifft nicht nur Großprojekte, sondern beispielsweise auch Erweiterungen von Schulgebäuden oder den Neubau von Kindergärten in kleineren Gemeinden. Der renommierte Vergaberechtler Prof. Martin Burgi hat nun in einem Gutachten aufgezeigt, wie unter den derzeitigen Regelungen rechtssicher europakonform vergeben werden kann.
Die Bundesingenieurkammer, die Bundesarchitektenkammer, der Verband Beratender Ingenieure (VBI) und der AHO hatten Prof. Dr. jur. Martin Burgi mit dem Gutachten beauftragt. Prof. Burgi, der die Forschungsstelle für Vergaberecht und Verwaltungskooperationen an der Ludwig-Maximilians-Universität in München leitet, kommt in seinem Gutachten zu dem Schluss, dass eine gemeinsame Vergabe von Planungs- und Bauleistungen als „Bauauftrag“ kombiniert mit der anschließenden losweisen Vergabe dieser Leistungen rechtlich zulässig und umsetzbar ist.
Das Bayerische Bauministerium hat mit Schreiben vom 18.12.2023 erst kurz zuvor daran erinnert, dass eine Pflicht zur Addition der Auftragswerte der einzelnen Planungsdisziplinen für dasselbe Bauvorhaben im Vergaberecht nicht geregelt ist, sich aber aus einem engen funktionalen Zusammenhang zwischen den Planungsleistungen ergeben kann. Nach einer Entscheidung des OLG München vom 13.03.2017 (Verg 15/16) sei dies jedenfalls dann der Fall, wenn die Planungsleistungen lückenlos aufeinander abgestimmt und optimiert sein müssen, um eine Einheit ohne Schnittstellen zu bilden.
„Dass Planungsleistungen lückenlos aufeinander abgestimmt werden, stellt den Normalfall dar“, kommentiert Dr.-Ing. Werner Weigl, 2. Vizepräsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau und Vorsitzender der Ausschüsse Vergabe der Bundesingenieurkammer und der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau. „Alles andere entspräche nicht dem Selbstverständnis der Planer und wäre obendrein äußerst haftungsträchtig“, so Weigl weiter.
Auch bisher schon war eine getrennte und zeitliche Staffelung der Vergabe von Planungs- und Bauleistungen üblich, wenn man bei der Ermittlung des Auftragswertes unter Addition der Fachlose zu dem Ergebnis kam, dass die einzelnen Lose in Planung und Bau europaweit auszuschreiben sind.
Neu ist der von Prof. Burgi dargelegte Ansatz, bei der Ermittlung des Auftragswertes Planungs- und Bauleistungen zusammen zu addieren und mit dem dann maßgeblichen Schwellenwert für Bauleistungen 5,538 Mio. € zu vergleichen. Kommt man dann zum Ergebnis, dass das Bauvorhaben unter diesem Schwellenwert liegt, können Planungs- und Bauleistungen in Fachlosen nach den jeweils einschlägigen nationalen und bundesländerspezifischen Regelungen vergeben werden.
Die Ergebnisse aus Prof. Burgis Gutachten lassen sich problemlos mit der Haltung des Bayerischen Bauministeriums verbinden. Denn sowohl die deutschen als auch die europäischen vergaberechtlichen Regelungen sehen vor, dass ein Auftraggeber frei wählen kann, ob er Planungs- und Bauleistungen getrennt oder gemeinsam, auch kombiniert mit einer Fachlosbildung, vergeben möchte. Bei diesem Beschaffungskonzept der gemeinsamen Vergabe, wie es die Stadt Hamburg bereits seit 2023 erfolgreich praktiziert, geht das Vergaberecht davon aus, dass es sich insgesamt um einen Bauauftrag handelt. Demzufolge kommt der Schwellenwert für die Vergabe von Bauleistungen in Höhe von 5.538.000 Euro zur Anwendung und nicht der von Planungsleistungen in Höhe von 221.000 Euro. Burgis Gutachten hebt zudem hervor, dass der Grundsatz der mittelstandsfreundlichen Vergabe weiterhin gilt.
„Die Verlautbarungen des Bayerischen Bauministeriums vom 18.12.2023 leisten aber, auch wenn man sie für Vergaben oberhalb von 5,538 Mio. € anwendet, unserer Ansicht nach einer nicht zielführenden Vergabe von Planungsleistungen im offenen Verfahren oder als Generalplanung Vorschub. Beides ist Gift für die mittelständische Planungs- und Bauwirtschaft. Gerade jetzt, wo der private Baumarkt nahezu zum Erliegen gekommen ist, kann eine Steigerung der Generalplanervergaben unserer kleinteiligen Planungslandschaft den Todesstoß versetzen. Das wäre besonders fatal, da sich diese kleinen Büroeinheiten als sehr resilient in Krisenzeiten erwiesen haben“, ordnet Dr.-Ing. Werner Weigl die aktuelle Situation ein.
In seinem Gutachten legt Prof. Burgi mit überzeugend begründeten Darlegungen dar, dass das von Hamburg bereits praktizierte Vergabemodell mit dem EU-Vergaberecht vereinbar ist und auch nicht den unterschwelligen nationalen Vergaberegeln widerspricht. Insbesondere lässt sich dieses Modell, von Prof. Burgi als „alternatives Beschaffungskonzept“ beschrieben, nicht als Umgehung des EU-Rechts bewerten, weshalb es auch in Hinblick auf Fördermittel keine Risiken begründet.
Bleiben Planungs- und Bauleistungen unter dem Schwellenwert von 5,538 Mio. €, bewegt sich die Vergabe dieser Leistungen im nationalen Vergaberecht, wonach jede Planungsdisziplin mit für beide Seiten geringem Aufwand, z.B. unter Einholung von drei Angeboten, separat vergeben werden kann. Eine Gleichzeitigkeit der Vergaben ist ebenso nicht notwendig. Damit weist Burgi einen Weg aus dem Dilemma der Addition der Planungshonorare, das entweder zu explodierendem Ausschreibungsaufwand auf beiden Seiten oder zu einem Angriff auf die kleinteilige Planungslandschaft führt, welche sich jedoch gerade in Krisenzeiten, wie wir sie derzeit wieder erleben, als sehr resilient erwiesen hat.
„Wir appellieren an alle Auftraggeber, Prof. Burgis Rechtsauffassung zu folgen. Mit dieser wäre die Beteiligung der kleinen, regionalen und mittelständischen Einheiten in Planung und Bau für häufige Bauvorhaben wie Kindergärten und Schulerweiterungen wieder möglich. Genau hier ist der Bedarf besonders hoch“, stellt Kammer-Vizepräsident Dr.-Ing. Werner Weigl klar.
„Gemeinsame Vergabe von
Aufträgen für Planungs- und Bauleistungen, kombiniert mit Fachlosbildung:
Funktionsweise und Rechtskonformität eines alternativen Beschaffungskonzepts
(v.a. bei kommunalen Investitionsvorhaben für Klimaschutz, sozialer Infrastruktur,
Sanierung etc.) nach Streichung des § 3 Abs. 7 S. 2 VgV“
Autor: Professor Dr. iur. Martin Burgi, Ordinarius für Öffentliches Recht und
Europarecht, Leiter der Forschungsstelle für Vergaberecht und Verwaltungskooperationen
an der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität, München
Quellen: Bayerische Ingenieurekammer-Bau, Bundesingenieurkammer, Bundesarchitektenkammer, AHO (Ausschuss der Verbände und Kammern der Ingenieure und Architekten für die Honorarordnung e.V.), VBI Verband Beratender Ingenieure
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