11.09.2024 - Dübendorf, Schweiz
Mehrstöckige Holzbauten liegen im Trend. Damit ihnen starker Wind oder ein Erdbeben nichts anhaben können, müssen genügend Aussteifungen im Tragwerk vorhanden sein. Die Grundlagen hierzu liefern Computerberechnungen. Um diese in der Praxis zu überprüfen und die Computermodelle zu verbessern, nutzen Empa-Forschende einen zwei Tonnen schweren „Shaker“, um damit ein Tragwerksmodell in Schwingungen zu versetzen, wie sie bei Erdbeben auftreten.
Im größten Labor der Empa in Dübendorf, der Bauhalle, wird für den Tag der offenen Tür am 14. September 2024 ein eindrückliches Experiment aufgebaut. Herzstück dabei ist der sogenannte „Shaker“. Mit diesem werden dann allerdings nicht von einem Barkeeper Cocktails für die Besucherinnen und Besucher gemixt, sondern die Empa-Bauingenieure René Steiger, Pedro Palma und Robert Widmann von der Forschungsabteilung „Ingenieurstrukturen“ demonstrieren, wie damit ein Tragwerksmodell in Schwingungen versetzt wird, wie sie bei Erdbeben auftreten können. Am Modell zeigen die Forschenden, wie die Gewichts- und Steifigkeitsverteilung im Tragwerk dessen Schwingungsverhalten beeinflussen.
Der Hintergrund zu dieser Demonstration: Häuser aus Holz werden in der Schweiz immer beliebter, etwa wegen der Nachhaltigkeit des nachwachsenden Baumaterials. Inzwischen werden in der Schweiz bis zu 75m hohe Holzbauten mit mehr als 20 Geschossen gebaut. Bei der Mehrzahl der Wohnbauten aus Holz handelt es sich jedoch um 4- bis 5-Geschosser, die häufig in Holzrahmenbauweise ausgeführt werden.
Um die horizontale Tragwerksteifigkeit eines Baus aus vorgefertigten Holzrahmenelementen und aufgenagelten Holzwerkstoffplatten zu gewährleisten und Schäden vorzubeugen, die durch starke Windstöße oder durch Erdbeben verursacht werden, können Bauingenieure zu verschiedenen Lösungen greifen.
Entweder sehen sie zusätzliche tragende Wände vor oder erhöhen den Tragwiderstand der vorhandenen Wände, indem dickere Bauteile, tragfähigeres Material oder mehr Verbindungsmittel verwendet werden. Unter dem Strich bedeutet dies mehr Material und einen erhöhten Arbeitsaufwand. Und das schlägt sich in höheren Kosten nieder.
Dazu kommt: Versteifen ist nicht für jeden Fall die beste Lösung. Um Erdbebenstöße aufzufangen, ist es in manchmal sogar vorteilhafter, wenn das Bauwerk nicht allzu steif ist, sondern bis zu einem gewissen Grad nachgiebig reagieren kann. Dies muss in den Berechnungen am Computer ebenfalls berücksichtigt werden.
Die gesamte Holzbaubranche, aber auch Architekten, Ingenieure und Bauherren sind daher an möglichst praxisnahen Daten zu Steifigkeit, Grundschwingzeiten und Dämpfung bei mehrgeschossigen Holzbauten interessiert, um die für ihr Objekt beste Lösung zu finden. Nur so ist sichergestellt, dass genau die benötigte Menge an Material verbaut wird – und zudem an den richtigen Stellen.
Lange gab es nur rechnerische Näherungswerte, aber keine an einem realen Objekt erhobene Daten zu den dynamischen Eigenschaften eines mehrgeschossigen Holzbaus in hierzulande üblicher Bauweise. In Japan und Nordamerika wurden zwar Rütteltischversuche durchgeführt, diese sind allerdings nicht einfach auf Schweizer Verhältnisse übertragbar, da sie Starkerdbeben simulieren.
Zudem unterscheiden sich die japanischen und nordamerikanischen Konstruktionen deutlich von denen in der Schweiz. Bedingt ist dies durch unterschiedliche Anforderungen an die thermische Isolation, den Schall- und Brandschutz.
In den Baunormen finden Bauingenieure nur Mittelwerte zur Steifigkeit einzelner Nagel-, Klammer- oder Schraubenverbindungen, Holzrahmenteile und Beplankungsmaterialien. Was fehlt, sind Angaben zur Steifigkeit ganzer Wandelemente oder von Wänden, die über mehrere Geschosse verlaufen.
Hier kommt nun der „Shaker“ der Empa ins Spiel, der hydraulische Horizontalschwinger, der bis zu 1000 kg schwingende Masse kontrolliert in Bewegung versetzen kann. Einen wichtigen Einsatz für die Forschung am Holzrahmenbau hatte er vor einigen Jahren, als er per Kran in das oberste Geschoss eines im Bau befindlichen Mehrfamilienhauses aus Holz in Oberglatt im Kanton Zürich gehievt wurde.
Die 1000 kg Masse, die auf dem Shaker installiert waren, setzten sich dank präziser Steuerung des Servohydraulik-Zylinders immer wieder in Bewegung und brachten das Holzhaus horizontal gehörig ins Schwingen. Genauso, wie es durch Windstöße oder kleinere Erdbeben im Zürcher Unterland zu erwarten wäre.
Beschleunigungssensoren maßen derweil auf drei Geschossen die horizontalen Bewegungen des Gebäudes und lieferten Werte zu Tragwerksteifigkeit, Eigenfrequenz und Dämpfung. Die Messungen erfolgten während drei verschiedener Bauphasen.
So konnten die Forschenden direkt am Objekt verfolgen, wie das Tragwerk immer mehr an Steifigkeit gewann: Während in der ersten Phase nur die tragenden Wände als Aussteifung wirkten, waren in der zweiten Phase auch die Beplankungen von nicht tragenden Wänden verklammert, in der dritten Phase waren die Fenster eingebaut.
„Bereits die ersten Ergebnisse zeigten, dass die Berechnungen am Modell nicht mit den Experimenten übereinstimmen“, so Steiger. Das Tragwerk erwies sich als bedeutend steifer, als auf Basis der Angaben in den Normen und der verwendeten Modelle berechnet worden war.
Solche Messungen in der Praxis wie auch die Projekte im Empa-Labor geben Aufschluss darüber, wie sich die eingesetzten Baumaterialien allgemein auf Steifigkeit, Eigenfrequenz und Dämpfung von Bauten auswirken. Mit ihrer Arbeit helfen die Wissenschaftler, Normen und Computermodelle zu ergänzen, und sie unterstützen Bauingenieure und Architekten darin, ihre Planung zu optimieren. Und sie stärken damit auch die Konkurrenzfähigkeit von Holz als nachhaltigem Baustoff für mehrgeschossiges Bauen.
Quelle: Empa – Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt
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