04.12.2024 - München
Der Einsturz der Carolabrücke in Dresden zeigt, dass Brücken als Bauwerke oft erst dann in die öffentliche Wahrnehmung treten, wenn sie nicht mehr funktionieren. „Die finanziellen Mittel standen in den zurückliegenden Jahrzehnten nicht ausreichend zur Verfügung. Notwendige Maßnahmen wurden herausgezögert. Dadurch verschlechterte sich der Zustand der Brücken kontinuierlich. Für die Zukunft ist es dringend notwendig, den Unterhalt ausreichend zu finanzieren“, schreibt unser Vorstandmitglied Dr. Markus Hennecke in der Jahresbeilage der Bayerischen Staatszeitung.
Der Einsturz der Carolabrücke in Dresden hat die Sicherheit der Brücken noch einmal stärker in den öffentlichen Fokus gerückt. Brücken sind essenziell für die Verkehrsinfrastruktur. Seit Mitte des letzten Jahrhunderts ist die Anzahl der Straßenbrücken stark angestiegen. Ursächlich dafür sind die gestiegenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Anforderungen an Mobilität und Logistik, die zu einem größeren und dichteren Straßennetz mit möglichst kreuzungsfreien Verkehrswegen führen.
Brücken verkürzen Wege, verbessern den Verkehrsfluss und erhöhen die Sicherheit. Damit entstand eine Abhängigkeit der Verkehrsbeziehungen von Brücken. Eine einzelne Brücke kann, wenn sie für den Verkehr ganz oder teilweise gesperrt wird, eine ganze Verkehrsbeziehung stören oder gar unterbinden. Besonders in Industriegesellschaften nutzen fast alle Menschen täglich Brücken, oft ohne sich dessen bewusst zu sein; entweder direkt, in dem sie sich auf Wegen und Schienen bewegen, oder indirekt durch den Bezug von Gütern.
Der Ausfall von Brücken, seien sie auch noch so klein, führt somit zu Störungen des verkehrlichen Ablaufs und betrifft schnell tausende Menschen. Brücken treten bis auf wenige prominente Bauwerke erst in die öffentliche Wahrnehmung, wenn sie nicht mehr funktionieren.
Die Funktion einer Brücke ist gestört, wenn sie für Instandsetzungs- und Unterhaltsarbeiten gesperrt oder wegen schwerwiegender Schäden nicht mehr nutzbar oder zerstört ist. Die Auftretenswahrscheinlichkeit der aufgeführten Ursachen ist sehr unterschiedlich.
Die erste Ursache ist während der Lebensdauer der Brücke wiederkehrend notwendig, die letzte Ursache ist sehr selten. Die häufigste Ursache für Brückenzerstörungen sind Naturkatastrophen. Im Ahrtal wurden 130 Brücken durch das Hochwasser zerstört.
Kritisch sind Bauzustände. Die geringste Häufigkeit hat das Versagen von Teilen oder gesamten Brücken, die unter Verkehr stehen. Verursacht sind diese Einstürze oft durch Kollisionen von Schiffen, Zügen und Kraftfahrzeugen. In Deutschland ist für den Einsturz einer gesamten Brücke infolge struktureller Schäden nur die Carolabrücke dokumentiert.
Damit zählen Brücken weiterhin zu den sichersten technischen Objekten unseres täglichen Lebens. Wie verhält sich diese Aussage zum aktuellen Diskurs über die Sicherheit unserer Brücken?
Brücken sind ganz besondere Ingenieurbauwerke. Die Aufgabe, Menschen und Güter über Hindernisse zu führen, birgt grundsätzlich ein erhöhtes Risikopotential. Historisch gesehen gibt es zahlreiche Beispiele für Brückeneinstürze mit Toten infolge von Systemversagen oder Überlastung. Mit diesen Erfahrungen wurden die Regeln zur Sicherheit der Brücken kontinuierlich weiterentwickelt. Das heutige nationale System - für die Bauwerkssicherheit sind trotz europäischer Normenentwicklung weiterhin die Nationalstaaten zuständig - setzt sich aus mehreren Elementen zusammen:
Die Bauwerksprüfung zielt darauf ab, Schäden zu erkennen, die sich aus der Nutzung und der Exposition gegenüber Umwelteinflüssen ergeben.
Eine absolute Sicherheit gibt es nicht. Die rechnerische Versagenswahrscheinlichkeit unter Berücksichtigung des öffentlichen Sicherheitsbedürfnisses und der Wirtschaftlichkeit wird auf einen Wert begrenzt. Niedergeschrieben wurde dieser Wert für die Sicherheit Anfang der 1980er Jahre in einem Grundlagendokument, das der Normenausschuss für das Bauwesen verfasst hatte.
Grundlage war das gesellschaftlich etablierte Sicherheitsniveau. Die rechnerische Versagenswahrscheinlichkeit von Brücken beträgt 1 zu 1 Million pro Jahr. Bei etwa 130.000 Brücken in Deutschland bedeutet dies eine Versagenshäufigkeit von einer Brücke alle 7,7 Jahre. Die tatsächliche Häufigkeit ist viel geringer.
Eine Besonderheit des Bauingenieurwesens ist, dass fast nur Unikate gebaut werden und eine lange Nutzungszeit angestrebt wird. Eine Produktentwicklung mit Prototypen, die unter realen Bedingungen getestet werden, oder ein Update ist somit nicht möglich. Im 20 Jahrhundert begann weltweit der Großbrückenbau. Bei den Methoden der Baustatik, den Baustoffen und der Bautechnologie gab es und gibt es weiterhin viele Innovationen. Die Erfahrungen mit den Innovationen sind verschieden. Viele haben sich bewährt, andere wurden weiterentwickelt, wenige nicht weiterverfolgt.
Für die Brückenbauwerke, die mit damals innovativen Technologien gebaut wurden, die heute als nicht ausreichend sicher gelten, wurden spezielle technische Richtlinien verfasst, um sie weiterhin mit zeitlicher Begrenzung sicher zu betreiben. Dazu gehört eine intensivere Überprüfung des Brückenzustandes und gegebenenfalls eine kontinuierliche Überwachung mit Sensorik.
Kritische Bauteile sind zum Beispiel sprödbruchgefährdete Spannstähle, die vor der Wende in beiden Teilen Deutschlands produziert wurden, oder Schweißnähte bei Stahlbrücken, die aufgrund ihrer Konstruktion keine ausreichende Ermüdungsfestigkeit haben. Andere Schwachstellen können durch bauliche Maßnahmen ertüchtigt werden. Die betroffenen Brücken sind identifiziert.
Seit 50 Jahren gibt es einen enormen Zuwachs des Schwerlastverkehrs auf den Straßen. Die normativen Ansätze für die Verkehrseinwirkungen mussten deshalb wiederholt fortgeschrieben werden. Somit existieren heute viele ältere Brücken, die, auch bei gutem Zustand, die aktuellen Verkehrslasten zumindest rechnerisch nicht tragen können.
Die Bauwerke werden nach den Vorgaben einer Nachrechnungsrichtlinie einer baustatischen Betrachtung unterzogen. Auch genauere Rechenmethoden können diese Defizite nicht immer heilen. In der Konsequenz ergeben sich Beschränkungen der Verkehrslasten. Eine Ertüchtigung kann hier Abhilfe schaffen.
Brücken erfahren eine erwartbare Verschlechterung ihres Zustandes infolge von Umwelteinflüssen und Belastung. Diese Verschlechterung wird durch die regelmäßige Bauwerksprüfung erkannt und durch eine Zustandsnote beschrieben. Im Zuge des Erhaltungsmanagements werden die Bauwerke saniert und ihr alter Zustand wird wiederhergestellt oder über das bisherige Niveau hinausgehoben.
Typische Schäden sind Korrosion von Stahl sowohl im Betonbrückenbau als auch im Stahlbrückenbau. Die Korrosion wird verstärkt durch den Einfluss der Tausalze, die seit Anfang der 1970 Jahre eingesetzt werden.
Im Stahlbrückenbau treten Ermüdungsbrüche durch die hohen Verkehrslasten auf. Weiterhin gibt es Ausstattungselemente, die eine kürzere Lebensdauer haben als das Haupttragwerk und somit regelmäßig erneuert werden. Insofern ist nicht jede Baustelle auf einer Brücke ein Hinweis auf einen maroden Zustand, sondern meist planmäßiger Unterhalt oder Erhaltung.
Aus technischer Sicht ist ausreichend Wissen vorhanden, um eine sichere und leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung zu stellen. Für einen funktionsfähigen Zustand müssen jährlich zwei bis drei Prozent des Neubauwertes für den Brückenunterhalt zur Verfügung stehen. Ausgehend von 130.000 Brücken in Deutschland müssten bei einer angestrebten Nutzungsdauer von 100 Jahren jährlich etwa rund 4.000 Brücken saniert und 1.300 weitere erneuert werden.
Die finanziellen Mittel standen in den zurückliegenden Jahrzehnten nicht ausreichend zur Verfügung. Notwendige Maßnahmen wurden herausgezögert. Dadurch verschlechterte sich der Zustand der Brücken kontinuierlich. Für die Zukunft ist es dringend notwendig, den Unterhalt ausreichend zu finanzieren. Brücken mit strukturellen Schwächen sollten nach und nach ersetzt werden.
Die gebaute Infrastruktur ist auch eine kritische Infrastruktur, deren Erhalt aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und der Nachhaltigkeit eine vordringliche Aufgabe ist. Dies kann nur durch einen gesellschaftlich getragenen Konsens umgesetzt werden.
Autor:
Dr.-Ing. Markus Hennecke
Vorstandsmitglied
Bayerische Ingenieurekammer-Bau
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Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Bayerischen Staatszeitung
Quelle: Bayerische Staatszeitung, Fotos: Landeshauptstadt Dresden / Tobias Hase (1),Landeshauptstadt Dresden (2), Mike Bender / Adobe Stock (3), Maksym / Adobe Stock (4), ThomBal / Adobe Stock (5), Graficriver / Adobe Stock (5)
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