25.03.2024 - Berlin / München
Nach der Anpassung der Vergabeverordnung an das EU-Recht herrscht sowohl bei Planenden als auch den öffentlichen Auftraggebern Unsicherheit bei der Vergabe. Im Interview erläutert der Vergaberechtsexperte Prof. Dr. jur. Martin Burgi die Ergebnisse seines Rechtsgutachtens zur Vergabe von Planungsleistungen. Das Gutachten bestätigt die Rechtskonformität eines alternativen Beschaffungskonzepts. Dabei wird der Bauauftrag zwar als Ganzes betrachtet, aber in Fachlose geteilt.
In der deutschen Planerschaft und bei den öffentlichen Auftraggebern herrscht nach Streichung von § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV (alt) große Unsicherheit bei der Vergabe von Planungsleistungen. Unklar ist vor allem, ob diese Streichung dazu führt, dass im Rahmen der Auftragswertberechnung Planungsleistungen anders als bisher addiert und deshalb vermehrt europaweit ausgeschrieben werden müssen. Dies ist jedenfalls das Ziel der EU-Kommission.
Die Beteiligung an europaweiten Ausschreibungsverfahren erfordert aber sowohl einen Mehraufwand für die Planenden Berufe als auch für die öffentlichen Auftraggeber, die diese aufwändigen Ausschreibungen vorbereiten und durchführen müssen. Außerdem steht zu befürchten, dass Planungsaufträge so öfter an Generalplaner oder sogar Totalunternehmer vergeben werden.
Prof. Dr. jur. Martin Burgi ist Autor des neuen Rechtsgutachtens mit dem Titel „Gemeinsame Vergabe von Aufträgen für Planungs- und Bauleistungen, kombiniert mit Fachlosbildung: Funktionsweise und Rechtskonformität eines alternativen Beschaffungskonzepts (v.a. bei kommunalen Investitionsvorhaben für Klimaschutz, sozialer Infrastruktur, Sanierung etc.) nach Streichung des § 3 Abs. 7 S. 2 VgV“.
Welche rechtssichere Alternative für öffentliche Auftraggeber zeigt dazu das von Ihnen erstellte Gutachten auf?
Prof. Burgi: Die Bundesregierung hat im Zuge der Streichung des
§ 3 Abs. 7 Satz 2 VgV in der Verordnungsbegründung ein alternatives
Beschaffungskonzept ins Spiel gebracht. Es besteht darin, für die
Berechnung des Auftragswertes alle für ein Bauprojekt erforderlichen
Planungs- und Bauausführungsleistungen zu berücksichtigen. Kombiniert
wird dies mit einer anschließenden Fachlosbildung, die insbesondere die
Planungsleistungen betrifft.
Öffentlichen Auftraggebern, die im Interesse einer Verwirklichung der in diesen Zeiten so dringend benötigten, insbesondere kommunalen Investitionsvorhaben für Klimaschutz, soziale Infrastruktur, Sanierung etc. weder die zeitraubende europaweite Ausschreibung jeder einzelnen Planungsleistung noch die Betrauung eines Totalunternehmers sowohl mit den Planungs- als auch den Bauausführungsleistungen in Kauf nehmen wollen, ist dieses Beschaffungskonzept zu empfehlen.
Warum ist öffentlichen Auftraggebern eine Gesamtvergabe von
Planungs- und Bauauftrag an einen Totalunternehmer nicht zu empfehlen?
Burgi: Die Beauftragung eines Totalunternehmers bedeutet
grundsätzlich eine Schwächung der Position des öffentlichen
Auftraggebers gegenüber den mit der eigentlichen Bauausführung betrauten
Auftragnehmern. Denn der Auftraggeber profitiert, wenn er in Gestalt
kleiner und mittelständischer Planungsbüros unabhängige und zugleich
sachkompetente, damit insbesondere aber auch zu Kontrollen der
Bauausführung befähigte Auftragnehmer an seiner Seite hat. Die
Beauftragung eines Totalunternehmers wäre zudem mit mehr
Rechtsunsicherheiten behaftet, weil der öffentliche Auftraggeber in
jedem einzelnen Fall vor Beauftragung nachweisen müsste, dass Gründe für
die Durchbrechung der grundsätzlichen Verpflichtung zur Losvergabe nach
§ 97 Abs. 4 Sätze 2 u. 3 GWB vorgelegen haben.
Welchen neuen Ansatz für die Vergabe von Planungsleistungen zeigen Sie in Ihrem Gutachten auf?
Burgi: Das erste Element des alternativen Beschaffungskonzepts
besteht darin, als Grundlage für die Auftragswertberechnung auf den
sogenannten „Bauauftrag“ abzustellen, der nicht nur aus
Ausführungsleistungen bestehen kann, sondern auch in einer Kombination
aus Planung und Ausführung. Dies ist so ausdrücklich in §§ 103 Abs. 3 S.
1 GWB, 3 Abs. 6 S. 2 VgV vorgesehen und entspricht überdies
europarechtlichen Vorgaben. Der maßgebliche Schwellenwert für die
Verpflichtung zu einer europaweiten Ausschreibung liegt für Bauaufträge
bei 5,538 Mio. Euro.
Die Entscheidung zugunsten einer solchen Vorgehensweise liegt dabei im freien Ermessen des jeweiligen öffentlichen Auftraggebers. Dadurch wird nicht das Umgehungsverbot des § 11 Abs. 5 GWB, 3 Abs. 2 VgV tangiert, nach dem die Methode zur Berechnung des geschätzten Auftragswerts nicht in der Absicht erfolgen darf, die Auftragsvergabe von den Vorschriften zur Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen auszunehmen. Im Gegenteil: Bei den Bauaufträgen wird der Schwellenwert aufgrund der Einberechnung der Planungsleistungen vergleichsweise häufiger erreicht bzw. überschritten. Dies dürfte gerade im Sinne des europäischen Binnenmarktes ein Vorzug des alternativen Beschaffungskonzepts sein.
Worin unterscheidet sich denn konkret das von Ihnen untersuchte alternative Beschaffungskonzept von den bisherigen Vergabearten?
Burgi: Wesentlich ist der zweite Teil des alternativen
Beschaffungskonzepts – die Teilung des aus Planungs- und Bauleistungen
bestehenden Bauauftrages in Fachlose, insbesondere die Unterteilung in
Fachlose für die einzelnen Planungsleistungen. Diese anschließende
Aufteilung in Fachlose ist nach meiner Untersuchung nicht nur rechtlich
zulässig, sondern nach deutschem Vergaberecht grundsätzlich
verpflichtend vorzunehmen.
Erfahrungsgemäß machen Planungsleistungen rund 20 %
der Bauleistungen aus. Dann würden Planungsleistungen im Rahmen eines
Bauauftrages demnach erst ab einer Größenordnung von rund 1,1 Mio. Euro
europaweit ausgeschrieben werden müssen?
Burgi: Ja, bei Unterschreiten des Bauaufträge-Schwellenwerts
gelangen die Vorgaben des europäischen Vergaberechts erst gar nicht zur
Anwendung. Dies gilt dann auch für die anschließende losweise Vergabe
der Planungsleistungen. Darin ist auch keine missbräuchliche
Verfahrensgestaltung des öffentlichen Auftraggebers zu sehen, sondern
diese Rechtsfolge geht allein auf die Entscheidung des europäischen
Gesetzgebers zurück, den Schwellenwert für die Vergabe von Bauaufträgen
deutlich höher anzusetzen als den für die Vergabe von
Dienstleistungsaufträgen. Es ist jedenfalls nach Anwendung aller
klassischen rechtlichen Auslegungsmethoden keine schlüssige Begründung
ersichtlich, warum der Einsatz dieses alternativen Beschaffungskonzepts
unstatthaft sein sollte. Vielmehr ist dieses Beschaffungskonzept
Bestandteil der europarechtlich anerkannten sogenannten
Beschaffungsautonomie des jeweiligen öffentlichen Auftraggebers, deren
Ausübung insoweit keine Grenzen gesetzt sind.
Aber auch dann, wenn der Gesamtauftragswert den Schwellenwert überschreitet, ist noch folgendes zu berücksichtigen: § 3 Abs. 9 VgV sieht vor, dass der öffentliche Auftraggeber einzelne Lose außerhalb des EU-Vergaberechts vergeben darf, wenn der geschätzte Nettowert des betreffenden Loses bei Liefer- und Dienstleistungen unter 80. 000 EUR und bei Bauleistungen unter 1 Mio. EUR liegt und die Summe der Nettowerte dieser Lose 20 Prozent des Gesamtwertes aller Lose nicht übersteigt. Die Konsequenz dieser sogenannten 80/20-Regel ist im vorliegenden Zusammenhang eine Verschiebung des Schwellenwerts nach oben bis zu maximal 20 % des Gesamtwerts alle Lose. Dies wiederum bedeutet, dass bis zu dieser nach oben verschobenen Schwelle nicht die Regeln des Oberschwellen-, sondern die des Unterschwellenvergaberechts gelten. Im vorliegenden Zusammenhang würde sich anbieten, die auf die planungsbezogenen Leistungen bezogenen Lose in das 20 %-Kontingent zu ziehen.
Auf welcher Grundlage müssten dann die jeweiligen Lose für
die Planungs- und die Bauleistung vergeben werden? Wäre hierbei nicht
vorrangig die VOB Teil A anzuwenden?
Burgi: Das Rechtsregime für die Vergabe der Lose für die
Planungsleistungen richtet sich oberhalb des Bau-Schwellenwerts nach der
VgV. Unterhalb dieses Schwellenwertes für Bauaufträge in Höhe von
5,538 Mio. Euro richtet sich das anwendbare Regime für die
Auftragsvergabe nach den jeweils einschlägigen Vorschriften des
Haushaltsrechts. Vorbehaltlich im Einzelfall abweichender Regelungen
dürfte hier im Hinblick auf die Lose für die Planungsleistungen nach der
UVgO verfahren werden. Diese enthält wiederum in § 50 UVgO eine
Sonderregelung zur „Vergabe von freiberuflichen Leistungen“, auf deren
Grundlage dann zu vergeben ist.
Prof. Dr. jur. Martin Burgi
Ordinarius für Öffentliches Recht und Europarecht, Leiter der
Forschungsstelle für Vergaberecht und Verwaltungskooperationen an der
Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität, München
Quelle: BIngK / BAK, Fotos: LMU; BIngK / BAK
Seit § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV gestrichen wurde, rätselt die Fachwelt, wie Planungsleistungen für öffentliche Bauvorhaben vergaberechtskonform auszuschreiben sind. Ein Gutachten des Vergaberechtlers Prof. Martin Burgi zeigt, wie unter den derzeitigen Regelungen rechtssicher europakonform vergeben werden kann. „Das Gutachten zeigt, dass die gemeinsame Vergabe von Planungs- und Bauleistungen als „Bauauftrag“ kombiniert mit der anschließenden losweisen Vergabe dieser Leistungen rechtlich zulässig und umsetzbar ist", sagt Vizepräsident Dr.-Ing. Werner Weigl in der aktuellen Kolumne in der Staatszeitung.
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